»INTERVIEW MIT IDEEBN.ORG«

Englische und italienische Version
ab September 2008 auf
»Idee in bianco e nero«
(italienische Fine-Art-Website)

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*) Zunächst möchten wir gern mehr ueber dich erfahren. Auf deiner Website lasen wir, dass du als Grafiker angefangen hast und jetzt als Profi-Fotograf arbeitest. Wie ist es zu dieser Veränderung gekommen?

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Ich arbeite weiterhin als Designer, aber Fotografie nimmt mehr und mehr meiner Zeit in Anspruch. Ich habe mich dennoch entschieden, sie nicht als Beruf zu verfolgen, weil ich so unabhängig wie möglich sein möchte. Manchen Leuten gelingt es, ihr Hobby zum Beruf zu machen, aber ich habe zu viele gesehen, deren Stil durch die Marktlage verändert wurde. Ich möchte keine Motiventscheidungen aus ökonomischen Gründen treffen. Die Kunst braucht Freiraum, um sich zu entfalten.

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*) Du arbeitest mit weiblichen Modellen. Wonach suchst du bei einem Model? Welche Aspekte der Frau möchtest du in deiner fotografischen Arbeit hervorheben?

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In erster Linie suche ich glaubwürdige Emotion.

Ich kann einem neuen Model schwer erklären, wen ich suche und was mein Ziel ist. Auf Tausenden von Bildern sieht sie, was ich mit anderen fand, aber das erklärt nicht, was ich mit ihr finden kann.

Ich kann nicht im vorhinein sagen, ob sich eine Person als Model eignet. Wir können das nur in einem Shooting erfahren, und das ist schwierig, weil ja alle verschieden sind.

Das wichtigste an einer guten Session ist eine Basis von Ehrlichkeit und Teilen. Beide wagen wir uns ein Stück hinaus, und die Fotos zeigen das, was wir teilten.

Ich werde oft gefragt, warum ich derzeit keine Männer knipse. Das habe ich ein paar Mal versucht, empfand aber immer Hemmungen der Männer, sich auf die Energie im Öffnen, Vertrauen und Hingeben einzulassen, die ich immer suche.

Ein Großteil unserer natürlichen Energie ist sexuell. Männer sind an Frauen interessiert und umgekehrt, das ist halt so unter Heteros.

Ich finde Frauen attraktiv und reizvoll, und auch wenn mein Motiv natürlich nicht primär sexuell ist, so gibt es doch sinnliche Anteile, mit denen das andere Geschlecht besser umgehen kann, weil wir das unser ganzes Leben so gelernt haben.

Ich schätze, vergleichbare Männerfotos werden wohl eher von Frauen gemacht.

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*) Es scheint eine Intimität zwischen dir und deinen Models zu geben, die normalerweise schwierig zu erschaffen ist, vor allem in einem Studio. Wir glauben, dass diese Intimität deine Bilder sehr von Werbe- oder Mode-Bildern unterscheidet. Wie viel davon ist vorbestimmt? Arrangierst du im Vorhinein jedes Detail, und besprichst du das mit den Models?

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Die Intimität ist nicht arrangiert, sie passiert einfach.

Ich knipse gern an uns bekannten Orten, meiner Küche, meiner Dusche, meinem Dachboden oder in den Wohnungen der fotografierten Personen. Die bekannte Umgebung hilft, eine vertraute Atmosphäre zu schaffen, dies ist die erste wichtige Voraussetzung für ein gelungenes Shooting.

Sehr selten habe ich Bilder oder Themen im Kopf, nur wenn das Model sich ein besonderes Thema wünscht. Ich versuche mich vor dem Shooting von allen Bildern freizumachen, auf meine Intuition zu vertrauen und einfach das zu erfassen, was das Model hereinbringt.

Wir hören Musik, reden, trinken vielleicht etwas, und nach einiger Zeit entspannen wir und ein Flow entwickelt sich von selbst. Ich höre darauf, in welcher Stimmung mein Model ist, und arrangiere und korrigiere nur selten, denn dann schaltet sich der Kopf wieder ein, und der Verstand arbeitet gegen die Intuition.

Ich versuche den Kopf weitestgehend aus der ganzen Geschichte herauszuhalten.
Wenn sich alles gut anfühlt, sieht man das später auch auf den Bildern.

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*) Manche werden denken, Kommunikation zwischen Fotograf und Modell ist unnütz oder nur prätentiös.
Meinst du nicht, es ist sogar der beste Weg, das Modell miteinzubeziehen und seine wahre Natur zeigen zu lassen und vielleicht ein Geheimnis zu enthüllen, das sich sonst nicht offenbart hätte?
Oder anders, ist es grundlegend wichtig, in einer Portrait-Session das Model zu zeigen, wie sie sich auch normalerweise gibt?


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Es kommt immer drauf an, was man sucht.
Mein (unvollendetes) Diplomthema lautete "Eigenbild und Fremdbild". Fotografiert werden dreht sich um ein Erscheinungsbild. Wie sehe ich aus, wie erscheine ich, was bin ich, was kann ich sein, darf ich sein? Wie bestimmt mein Eigenbild meine Erscheinung?

Wir haben dabei verschiedene Taktiken. Die einen sind allzu schüchtern, andere haben merkwürdig viel Zuversicht in die eigene Wirkung. Jeder hat diesen Umgang in seinem Lebensweg herausgebildet und arbeitet täglich daran, bewusst oder unbewusst.

Es ist für mich ein weites Feld, einen kleinen Aspekt dieser Kämpfe zu beleuchten. Meine Hauptaufgabe ist, zuzuhören, die Person hinter der Fassade kennen zu lernen und sie zu respektieren in allem, was sie ist.

Das ist der Beginn einer Reise, auf der das Model für sich den besten Weg findet, sich auszudrücken. Manche haben Spaß, beim Erforschen des Selbstbildes angeschaut zu werden, einige werden gern umgarnt, andere kämpfen lieber, oder sie arbeiten mit mir zusammen an einer vorher besprochenen Aufgabe, wieder andere verbleiben gern rätselhaft und undurchschaubar.

Ein für mich gutes Portrait darf nicht ungewollt zu viel von der Persönlichkeit bloßstellen und auch nicht ein Bild vermitteln, das nicht stimmt. Ein Shooting ist immer ein Spiel, es erschafft Möglichkeiten, sich auf Wege zu begeben. Manchmal findet man Schmeichelndes, mal Spannendes, Unerwartetes oder Erschreckendes, es ist aber immer etwas Wahrheit enthalten.

Deshalb macht diese Art der Fotografie höchst abhängig. Manchmal fürchte ich, die Bilder sind nicht das Wichtigste an diesem Prozess, sie sind nur die Zeugen der Selbsterfahrungen, die man dort macht. Es ist ein Trip, und man will natürlich immer mehr von dieser Energie finden, wenn sie sich visualisiert hat.

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*) Deine Serie von Frauenportraits scheint uns von Milan Kunderas "Unerträgliche Leichtigkeit des Seins" inspiriert, in dem der Protagonist durch Sex obsessiv versucht, die Unterschiede von einer Frau zur anderen zu finden. Hat deine fotografische Suche etwas damit zu tun?

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Dieser Gedanke ist mir nie gekommen, aber ihr liegt wahrscheinlich sehr richtig damit. Während die Arbeit anderer Fotografen oft im Finden der bestmöglichen Entsprechung, der Muse, gipfelt, bin ich besonders an der Verschiedenheit der portraitierten Personen interessiert. Aber es ist nicht nur das.

Der Weg, die Beklemmung, die Vorbehalte, Zaudern und Zweifel auszuräumen und danach miteinander die Öffnung und die Hingabe zu genießen, die möglich ist, ist wahrscheinlich der größte Motor, immer neue Shootings zu suchen.

Und ich bin immer wieder überrascht, mit wie vielen verschiedenen Leuten das gelingt.

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*) Du arbeitest mit Film und Mittelformatkameras. Inwieweit beeinflusst das deine Arbeit und die Ergebnisse, die du erzielst?

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Ich liebe das Mittelformat, denn der große Lichtschacht ermöglicht mir, das Bild viel direkter zu fühlen, als das mit Suchern oder Displays jemals möglich wäre.

Ich habe alle Medien ausprobiert, aber so lange es Film gibt, werde ich ihn benutzen. Als ich anfing, versuchten meine Lehrer mir beizubringen, wie man immer die qualitativ besten Ergebnisse erzielt, indem man seine Technik kontrolliert beherrscht. aber ich fand diese perfekten Bilder langweilig und habe ein besonderes Faible für Fehler und Unwägbarkeiten entwickelt.

Aus Versehen fiel mir einmal mein Actionsampler in die Elbe. Ich fischte ihn wieder heraus und verschoss die restlichen Bilder. Das Ergebnis des durchs Elbwasser manipulierten Films war großartig, weil einzigartig und nicht wiederholbar. Man könnte Effekthascherei unterstellen, aber für mich geht das Ganze viel weiter.
Diese attraktiven Faux-Pas’ haben mir gezeigt, wie toll es ist, die Kontrolle abzugeben. Wenn du dich allzusehr auf dein Bewusstsein und deine Fähigkeiten verlässt, limitierst du dich selbst auf das, was du kannst. Aber da draußen gibt es noch so viel mehr.

Fehler und Zufälle inspirieren mich, sie erweitern mein Blickfeld.
Denn wer nichts mehr falsch macht, macht noch lange nicht alles richtig.